Als langjähriger Formel-1-Fan, der seit den frühen 90ern kaum ein Rennen verpasst hat, schaue ich immer mit besonderem Interesse auf neue Rennspiele. Über viele Jahre waren die offiziellen F1-Titel von Codemasters und inzwischen EA Sports mein Anlaufpunkt. Doch so sehr diese Spiele ihre Stärken haben, stört mich seit langem, dass dort kaum vergangene Epochen berücksichtigt werden. Weder klassische Rennstrecken noch historische Fahrzeuge finden ihren Weg ins Spiel – ein Aspekt, den nicht nur ich mir schon oft gewünscht habe.
Genau hier setzt Formula Legends von 3DClouds an, auch wenn es ohne offizielle Lizenz auskommen muss. Fahrer, Teams und Strecken sind nicht originalgetreu, sondern an ihre Vorbilder angelehnt. Dennoch gefällt mir dieser Ansatz sehr, weil er etwas aufgreift, was vielen Fans wie mir bei den großen EA-Titeln fehlt: Die Möglichkeit, die Entwicklung der Formel 1 über Jahrzehnte hinweg selbst zu erleben. Mit einem klaren Simcade-Fokus versucht das Spiel, Arcade-Feeling mit Simulationselementen zu verbinden und so eine Brücke zwischen Anspruch und Zugänglichkeit zu schlagen.
Von den Legenden bis heute – Story, Umfang und Epochen
Im Zentrum steht ein Karriere- bzw. Storymodus, der uns durch verschiedene Jahrzehnte führt. Wir beginnen in den 1960er-Jahren und arbeiten uns schrittweise bis zur Gegenwart vor. Jede Dekade ist in mehrere Abschnitte unterteilt – meist Anfang, Mitte und Ende – sodass insgesamt 16 Turniere zur Verfügung stehen. Zwar verspricht die Bezeichnung „Storymodus“ mehr als sie halten kann, da es keine erzählerische Handlung oder Zwischensequenzen gibt, doch die Struktur vermittelt ein Gefühl historischer Entwicklung.
Neben dem Hauptmodus finden wir klassische Optionen wie Zeitrennen und eigene Turniere mit individuellen Einstellungen, etwa Rundenanzahl oder Wetterbedingungen. Ein besonderes Detail: Die im Laufe der Zeit veränderten Regeln werden ins Spiel übernommen. So starten wir zunächst mit nur einer Reifenmischung und knapper Tankfüllung, während in späteren Epochen unterschiedliche Reifentypen, Boxenstrategien sowie DRS- und ERS-Systeme (im Spiel BRS und WRS genannt) dazukommen.
Auch bei den Strecken wird der historische Wandel spürbar. Insgesamt warten 14 Kurse in unterschiedlichen Varianten, die ihre Entwicklung von der Vergangenheit bis heute widerspiegeln. So werden alte Streckenlayouts mit neuen verglichen, inklusive optischer Eigenheiten wie abgenutzte Asphaltlinien oder markante Veränderungen in der Streckenführung. Auch die Präsentation passt sich den Jahrzehnten an: Benutzeroberflächen und Farben sind auf die jeweilige Ära abgestimmt und lassen so die Evolution des Sports erlebbar werden.
Doch eine Sache hat Entwickler 3DClouds wohl vergessen – das Punktesystem. Unabhängig davon, ob wir in den 1960ern, 1980ern oder 2000ern unterwegs sind, greift das Spiel immer auf das heutige System zurück, bei dem die Top 10 Punkte erhalten. Historisch betrachtet ist das nicht korrekt: In den 60ern bekamen lediglich die besten sechs Fahrer Punkte (8, 6, 4, 3, 2, 1). Erst 2003 wurde die Wertung auf die besten acht Plätze erweitert, und das heutige System, bei dem bis zu zehn Fahrer Zähler sammeln, gilt überhaupt erst seit 2010. Hier verschenkt das Spiel eine Chance, den historischen Realismus konsequent weiterzuführen.
Benzin im Blut – Gameplay und Mechanik
Das Herzstück eines Rennspiels ist das Fahrgefühl, und hier versucht Formula Legends den Spagat zwischen Arcade und Simulation. Die Steuerung vermittelt das Gefühl, ein echtes Metallgefährt zu bewegen, gleichzeitig verlangt sie präzise Eingaben, vor allem wenn Fahrhilfen deaktiviert sind. Gasdosierung, Bremsbalance und Lenkbewegungen wollen beherrscht werden, um optimale Zeiten zu erzielen. Mit Controller gelingt das deutlich besser als mit Tastatur, die sich ohne Hilfen fast unspielbar anfühlt.
Der Simcade-Ansatz ist jedoch nicht immer konsistent. Teilweise wirken die Physikregeln unlogisch, besonders auf engen Strecken wie Monte Carlo, wo das Abprallen an Leitplanken manchmal die schnellere Option ist. Mit Updates wurden zwar erste Korrekturen vorgenommen, doch bleibt die Fahrphysik in manchen Situationen frustrierend.
Etwas irritierend ist zudem die Zeitmessung im direkten Vergleich mit den KI-Gegnern. Oft hatten wir das Gefühl, in einem Streckenabschnitt eine nahezu perfekte Linie gefahren zu sein, nur um dann zu sehen, dass die Gegner den Rückstand plötzlich verkürzen konnten. Andersherum kam es vor, dass wir eine eher schwache Runde erwischten und dennoch Zeit gutmachten. Dieses inkonsequente Verhalten nimmt etwas von der Glaubwürdigkeit des Renngeschehens und sorgt mitunter für Verwirrung.
Zusätzliche Tiefe bringen taktische Elemente: Reifenabnutzung, Energie-Management und die besonderen Fähigkeiten einzelner historischen Fahrer. Legenden wie Schumacher oder Lauda haben kleine spielerische Vorteile, die sich subtil, aber spürbar auswirken. Gleichzeitig sind die Rennen eher kurz gehalten – meist unter einer Minute pro Runde und selten mehr als 20 Umläufe –, sodass wir eher Sprint-Rennen erleben als ausdauernde Grand Prix.
Ein Highlight sind die Mini-Spiele, die sowohl beim Rennstart als auch beim Boxenstopp integriert sind. Wer beim Ampelstart das richtige Timing trifft, legt den Grundstein für ein starkes Rennen, während präzise Eingaben beim Reifenwechsel wertvolle Sekunden sparen können. Diese spielerischen Auflockerungen erhöhen den Adrenalinpegel und bringen zusätzliche Abwechslung.
Problematisch bleibt die KI. Sie fährt aggressiv, unvorhersehbar und teilweise unsauber. Gegner ignorieren Track Limits, blockieren riskant oder rammen uns bewusst von der Strecke. Auf der mittleren Stufe sind sie zu leicht, auf der schweren anfangs unschlagbar – ein unausgewogener Schwierigkeitsgrad, der den Spielfluss stört.
Zwischen Retro-Look und Cartoon – Grafik
Statt fotorealistischer Darstellungen setzt Formula Legends auf einen comicartigen, fast schon kindlich inspirierten Grafikstil. Die Wagen erinnern an MicroMachines, die Zuschauer wirken kantig wie Figuren aus Minecraft. Auch die Strecken sind nicht exakte Kopien, sondern atmosphärische Nachbildungen, die mehr das Flair als die Realität transportieren. Das Ergebnis wirkt stimmig zum Gesamtkonzept und harmoniert mit dem Simcade-Ansatz.
Trotzdem gibt es technische Schwächen. Vor allem das verspätete Laden von Texturen stört die Immersion. Besonders in längeren Rennen kann es passieren, dass Asphaltoberflächen oder Linien nicht rechtzeitig erscheinen, was gerade bei Kurven Orientierung kostet. Hier hilft nur, dass wir uns irgendwann auf unsere Fahrpraxis verlassen können.
Positiv hervorzuheben ist die dynamische Anpassung der Benutzeroberflächen an die jeweilige Epoche. Farben, Layouts und Symbole entwickeln sich mit der Zeit weiter und verstärken so das Gefühl einer historischen Reise durch die Formel 1.
Soundkulisse zwischen Motorengeheul und Standardmusik
Die akustische Untermalung ist eine der Stärken des Spiels. Jede Epoche bietet Motorensounds, die charakteristisch für die jeweilige Zeit sind – vom rauen Grollen der frühen Jahre bis hin zu den hybriden Turboeinheiten der Gegenwart. Diese Detailtreue trägt entscheidend zur Atmosphäre bei und verstärkt die Authentizität des historischen Konzepts.
Weniger beeindruckend fällt die Musik aus. Sie bleibt generisch und erfüllt eher die Funktion einer unaufdringlichen Hintergrundbegleitung. Nicht störend, aber auch nicht erinnerungswürdig. Dafür überzeugt die Soundkulisse auf der Strecke, die das Geschehen lebendig wirken lässt.
The Review
Formula Legends (PC)
Formula Legends ist ein ambitionierter Versuch, sechzig Jahre Formel-1-Geschichte spielerisch erfahrbar zu machen. Besonders gelungen ist die Idee, den Wandel von Autos, Regeln und Strecken durch Gameplay-Elemente erlebbar zu machen. Da stellt sich unweigerlich die Frage, warum es einem kleinen italienischen Studio gelingt, während ein Branchenprimus wie Codemasters bzw. EA Sports solche Inhalte seit Jahren ignoriert. Der Simcade-Ansatz überzeugt in vielen Momenten, wird aber durch unausgereifte Physik und eine frustrierende KI gebremst. Grafikstil und Präsentation sind sicherlich Geschmackssache, passen jedoch ins Gesamtbild, während die Soundeffekte viel Atmosphäre transportieren. Am Ende bleibt ein Rennspiel, das Motorsport-Fans interessante Einblicke in die Entwicklung der Formel 1 bietet. An die Spitze des Genres fährt es zwar weder technisch noch lizenzseitig, doch gerade für Spieler mit einem Herz für die Königsklasse ist es eine spannende und ungewöhnliche Alternative zu den offiziellen EA-Titeln – trotz aller Schwächen.
PROS
- Umfassende Darstellung von 60 Jahren Formel-1-Geschichte
- Unterschiedliche Regeln und Technik-Elemente pro Epoche (z. B. DRS/BRS, Reifen, Tankfüllungen)
- Kurze, einsteigerfreundliche Rennen
- Präsentation und UI passen sich dem Zeitgeist der Epoche an
- Abwechslung durch Mini-Spiele bei Start und Boxenstopps
CONS
- Fahrphysik teilweise unausgereift und inkonsequent
- Unausgewogene und teils frustrierende KI
- „Storymodus“ ohne echte Story, nur Turnier-Struktur
- Rennen oft sehr kurz, wenig Ausdauercharakter
- Manche Strecken wirken detailarm oder steril